Zusammenfassung
„Beschleunigung und soziale Praxis. Kulturelle Kontingenzen am Beispiel philippinischer
Migration“ von Maurice Schulze
Die Dissertation widmet sich der Frage, wie eine zeitstrukturelle Beschleunigung in der
alltäglichen Lebensrealität von Akteuren ausgehandelt wird. Die temporalstrukturellen
Veränderungen werden dabei mit der Theorie der sozialen Praxis in Verbindung gebracht.
Mittels einer empirischen Untersuchung wird erhoben, wie zeitstrukturelle Differenzen von
Akteuren vermeintlich langsamerer Gesellschaften ihren Alltag, nach einer Migration in eine
Gesellschaft des globalen Westens, aushandeln, erfahren und reflektieren. Dabei kommen
Migranten zu Wort, die auf den Philippinen aufgewachsen sind und zur Zeit der Erhebung in
Deutschland leben. Die Philippinen gelten gemeinhin als langsamere Peripherie, während
Deutschland als schnelles Zentrum verstanden wird. Vor diesem Hintergrund wird untersucht,
welche Transformationen und Widerstandspotentiale sich in Bezug auf zeitstrukturelle
Differenzen der Lebensgeschwindigkeit in der Alltagspraxis aufzeigen lassen. Mit der
Konzeption von Kultur als kompromissfähigen Aushandlungsprozess wird deutlich, dass die
Kontingenzperspektive einer Theorie der sozialen Praxis in der Diskussion um soziale
Beschleunigung gestärkt werden sollte. Die Elastizität zeitstruktureller Räume zeigt sich in der
Interpretation von Pünktlichkeit und technischen Möglichkeiten, der Definition von Freizeit
sowie in biografischen Entwicklungen. Die Besonderheit einer interkulturellen Untersuchung
eröffnet ebenso die Diskussion um die lokale Aushandlung globaler Entwicklungen und
Deutungen. Letztlich zeigt sich, dass die Beschleunigung des Lebenstempos einem
Aushandlungsprozess unterliegt, der innerhalb der sozialen Praxis als ein Quell kultureller
Kompromisse begründet liegt. Es lassen sich Formen und Praktiken der Entschleunigung
erheben, die weder residual, noch reaktiv oder dysfunktional zu erklären sind. Treffen
beschleunigte und langsamere Kulturen aufeinander, muss dies nicht zwangsläufig zu einem
Beschleunigungsdruck führen, der langsamere Kulturen antreibt. Die selektive Übernahme
einiger Elemente kann sogar zu alltagspraktischer Entschleunigung führen. Die Akteure haben
demnach Möglichkeiten über diese zeitstrukturellen Strategien ihre Zeitsouveränität zu stärken.